Selbstbestimmtes Leben ermöglichen: Migrantinnen helfen geflüchteten Frauen

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Frauen in einem Computerschulungsraum

Hatun Taher (links) und Nariman Shiko (hinten) sind Kursteilnehmerinnen in der Computerschulung von Shnian Niaz (rechts).

Foto: Integrationsbeauftragte / Ugoljew

Halle/Saale. Shnian Niaz geht normalerweise zur Uni. Heute steht die 22-jährige Jura-Studentin allerdings an der Tafel, um einer Gruppe von Frauen im IHK-Bildungszentrum die Arbeit mit dem PC näher zu bringen. An vier Tischreihen haben die Workshop-Teilnehmerinnen Platz genommen. Jede von ihnen hat einen eigenen Rechner. Wie sie das Word-Programm nutzen können, steht an diesem Nachmittag auf dem Plan. Schriftarten werden ausprobiert genauso wie Seitenformatierungen.

Einige Teilnehmerinnen leben seit vielen Jahren in Halle, andere sind erst vor wenigen Monaten in der Stadt angekommen. Sie stammen aus dem Irak und aus Syrien. Die Jüngste ist 17 Jahre alt, die Älteste um die 50. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie ihr Zuhause durch Krieg und Vertreibung verloren haben – und: dass sie einen Neuanfang wollen, wissbegierig sind.

Von Frauen, für Frauen

Um ihnen ihr Leben und das Ankommen in Deutschland zu erleichtern, ist im Mai das bundesweite Projekt MUT an den Start gegangen, das von der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration finanziert wird. In Workshops und Informationsrunden werden mit geflüchteten Frauen Themen wie Menschen- und Frauenrechte behandelt, Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitsfragen besprochen sowie Ausflüge organisiert.

Initiiert wurde das Projekt von DaMigra e.V. Der Dachverband mit 60 Migrantinnenorganisationen setzt sich seit seiner Gründung im September 2014 für Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung und für die Gleichstellung von Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte in Deutschland ein. Ihm gehören Frauen an, die selbst eine Migrationsgeschichte aufweisen und die Ähnliches durchlebt haben, wie jene, die heute am Computerkurs teilnehmen.

Mit Klischees brechen

Den Initiatorinnen geht es in den MUT-Workshops nicht nur darum, reines Faktenwissen zu vermitteln. Sich kennenzulernen, auszutauschen und zu vernetzen sei noch viel wichtiger, sagt die Verbandsvorsitzende Delal Atmaca. Sie sitzt im Vereinsbüro unweit des Hauptbahnhofs, trinkt aus ihrer Tasse schwarzen Kaffee und spricht voller Enthusiasmus von ihrer Arbeit und dem Ziel, DaMigra e.V. als Sprachrohr für die Interessen von Migrantinnen in Deutschland zu etablieren.

Delal Atmaca

DaMigra-Verbandsvorsitzende Delal Atmaca

Foto: Integrationsbeauftragte / Ugoljew

„Dank des MUT-Projektes kommen die Frauen raus aus ihrem Alltag, stellen Fragen, trauen sich, etwas zu machen“, sagt Delal Atmaca. In ihnen stecke oftmals großes Potential, das allerdings häufig unentdeckt bliebe. Sie in die Gesellschaft zu integrieren, ihnen Zugang zu Informationen zu verschaffen, ihnen Selbstbewusstsein zu vermitteln, sie bei der Emanzipation zu unterstützen – das seien nicht nur die Ziele des MUT-Projektes, sondern von DaMigra e.V. allgemein. „Wir wollen mit den klischeehaften Rollenbildern, unter denen Frauen weltweit leiden, brechen. Sie müssen oft zu Hause bleiben, den Haushalt führen, auf die Kinder aufpassen, sich um die Eltern oder kranke Verwandte kümmern.“ Männer hätten es um einiges leichter, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. „Sie bekommen viel schneller einen Zugang, ob zu Deutschkursen oder zum Arbeitsmarkt“, sagt Delal Atmaca.

Selbstbestimmtes Leben ermöglichen

Das Projekt MUT holt die Geflüchteten in ihrem Alltag ab. Es seien die kleinen Dinge, die auf die Frauen befreiend wirkten. Ein Fahrradfahr-Workshop stärke sie genauso wie ein gemeinsamer Besuch im Schwimmbad. „Das sind Dinge, die sie vorher oft nicht durften“, sagt die Verbandschefin. „Die Frauen wollen aber ein selbstbestimmtes Leben führen. Darin unterstützen wir sie.“

Betty Wali

Betty Wali, DaMigra Koordinatorin

Foto: Integrationsbeauftragte / Ugoljew

Betty Wali hätte sich einen Verein wie DaMigra e.V. oder ein Projekt wie MUT während ihrer Ankunft in Deutschland gewünscht. 2001 flüchtete sie aus dem Irak. In Halle war sie auf sich allein gestellt. Es habe niemanden gegeben, der ihr Wege aufgezeigt und gesagt hätte: „Schau mal, so läuft das Leben hier.“ Den Kulturschock, den sie damals erlebt hat, möchte sie anderen Frauen ersparen. „Sie sollen nicht das Gleiche durchmachen müssen wie ich.“ Deshalb engagiert sie sich als Projektkoordinatorin bei DaMigra e.V. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich über ganz Ostdeutschland. „Ich gehe viel in die Heime, spreche die Frauen direkt an, erzähle ihnen von unserer Arbeit.“

Lernen in lockerer Atmosphäre

Während des PC-Workshops im IHK Bildungszentrum sitzt Betty Wali in der letzten Reihe und beobachtet das heitere Miteinander im Seminarraum. Es wird viel gelacht und geredet. Shnian Niaz erklärt auf Kurdisch, was die Teilnehmerinnen als nächstes zu tun haben. Maryam Mohammed übersetzt es ins Arabische. Seit 1998 lebt die Nordirakerin in Deutschland, engagiert sich viel ehrenamtlich. „Ich möchte nicht nur zu Hause sitzen“, sagt sie.

Raus aus den eigenen vier Wänden – das ist auch Hatun Tahers Anliegen. Der Umgang mit dem PC sei für sie nicht völlig neu, „aber ich möchte mein Wissen vertiefen“, sagt die Kursteilnehmerin aus dem Irak. „Ich möchte mehr schreiben, viel schreiben.“ Seit 17 Jahren lebt die 47-Jährige mit ihrer Familie in Halle. Vier Kinder habe sie großgezogen. Beruflich hat sie in Deutschland allerdings nie Fuß fassen können. Ihr Lehramtsstudium konnte sie nicht beenden, stattdessen hat sie sich um die Familie gekümmert.

Wünsche und Ziele verwirklichen

Nariman Shikho, 25 Jahre, hat ihren beruflichen Weg noch vor sich. Sie ist mit ihren Eltern aus Syrien geflohen und lebt nun seit sechs Monaten in Halle. Aufgrund des Krieges habe sie ihr Abitur nicht beenden können. Den Schulabschluss nachholen, eine Krankenschwester-Ausbildung machen – das seien ihre Ziele.

Die Kursteilnehmerinnen tippen die nächste Übung ab – eine Muster-Einladung zu einer Weihnachtsfeier. Dann steht ein Crashkurs zum Excel-Programm an. In der kommenden Woche werde sie ihnen zeigen, wie sie im Internet Stellenbörsen nutzen können, sagt Shnian Niaz. „Darauf sind die Frauen schon ganz gespannt.“