Interview
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Nach dem Bekanntwerden des Potsdamer Geheimtreffens gingen allein am vergangenen Wochenende über eine Million Menschen auf die Straße. Macht Ihnen das Mut?
Ja, das macht mir Mut und ich glaube vielen Betroffenen auch. Viele Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte haben Angst und Sorge um ihre Sicherheit und Zukunft in Deutschland. Mut macht auch, dass die Demonstrationen überall stattfinden: in Nord, Süd, Ost und West, in Städten und auch in ländlichen Regionen. Ich war am Dienstag in meiner Heimatstadt Schwerin mit 2.600 Menschen auf der Straße. Für die Größe Schwerins ist das eine richtig gute Teilnehmendenzahl. Dort und an vielen Orten sind so viele wie jahrzehntelang nicht mehr auf den Straßen. Das ist ein wirklich großartiges Signal.
Was bedeuten diese Demos für Deutschland?
Sie zeigen ganz klar: bis hierhin und nicht weiter. Sie zeigen rechtsextremen Bestrebungen und Verfassungsfeinden die Grenzen auf und ein ganz großer Teil der Bevölkerung stellt sich entschlossen gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus. Ich wünsche mir, dass es jetzt so weitergeht und wir das Momentum nutzen. Wir müssen gemeinsam dranbleiben, auch über die Demonstrationen hinaus.
Was könnte das sein?
Jede und jeder Einzelne kann etwas machen: ins Gespräch gehen, in den Vereinen, Familien und Freundeskreisen. Einschreiten gegen Rassismus oder Verschwörungstheorien. Sich der Konfrontation stellen, auch wenn es manchmal zwischenmenschlich schwierig wird. Demonstrieren gegen Rechtsextremismus ist großartig, jetzt müssen wir alle auch im Alltag weiter machen. Die Bundesregierung unterstützt die Demokratie-Arbeit und politische Bildung.
„Viele Betroffene sind einfach müde“
Auf den Demonstrationen waren überwiegend weiße Akademiker aus der Mittelschicht zu treffen. (Post-)Migrantische Initiativen, die noch bei der großen „Unteilbar“-Demo 2018 ziemlich aktiv waren, gab es weniger. Was bedeutet das?
Es haben viele Initiativen zu Demos aufgerufen, wie in Halle zum Beispiel, wo es die größte Demo seit 1989 gab. Aber wenn jetzt geschätzt wird, dass bisher nicht besonders viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte auf den Demonstrationen dabei sind, könnte das unter anderem daran liegen, dass viele ja bereits seit Jahren vor Rassismus und Rechtsextremismus warnen. Das ist für sie nicht wirklich etwas Neues. Wir hatten NSU, Halle, Hanau, auch da gab es Demonstrationen, insbesondere nach Hanau, wo vorrangig (post-)migrantische Gruppen mobilisierten.
Ist das jetzt anders?
Viele hatten das Gefühl, es wurde ihnen nicht zugehört. Jetzt ist es anders und endlich kommt es auch bei der Mehrheit der Bevölkerung an. Das ist wichtig, denn es macht den Betroffenen Mut. Viele sind einfach müde von dem Kampf und dass sich so wenig geändert hat. Ich kann das verstehen. Ich wünsche mir, dass Migrant*innen-Organisationen und Betroffenen-Initiativen durch die aktuelle Protestwelle und die große Solidarisierung neue Energie schöpfen.
Auch die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland schrieb nach den Recherchen: „Nichts davon ist neu und das ist das Problem." Wie lässt sich diese Unzufriedenheit auffangen?
Auch wenn das alles nicht neu ist: Die Umfragewerte einer Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt, sind sehr beunruhigend. Das ist eine neue Dimension. Wichtig sind jetzt zwei Dinge: Zunächst müssen wir die Perspektive der Betroffenen verstehen, sie ermutigen und ihnen vor allem zeigen, dass Solidarität jetzt nicht nur bei ein paar Wochen bleibt. Dann müssen wir dafür sorgen, dass sich die Solidarität der Proteste auch im Alltag zeigt.
„Unser Verfassungsschutz prüft jeden Tag"
Was konkret muss die Politik dafür jetzt tun?
Wir müssen vor allem das Demokratiefördergesetz verabschieden. Wir haben es im Kabinett schon letztes Jahr beschlossen. Genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um es im Bundestag zu beschließen. Denn all die Initiativen, die NGOs, gerade im ländlichen Raum, gerade im Osten, die brauchen eine nachhaltige strukturelle Finanzierung für ihre Demokratie-Arbeit. Wie wichtig das ist, merken wir jetzt.
Was ist mit einem Verbot?
Dafür gibt es zu Recht höchste Hürden in unserer Demokratie. Auch Verbote müssen wir prüfen, das ist wichtig. Die Bundesregierung hat bereits von Anfang an den Fokus auf den Kampf gegen Rechtsextremismus gelegt. Innenministerin Faeser hat letzte Woche im Bundestag zurecht nochmal betont, dass die größte Gefahr im Inneren Deutschlands von Rechtsextremen ausgeht.
Wird die Innenministerin ein AfD-Verbot prüfen?
Unser Verfassungsschutz prüft jeden Tag, ob Personen, Vereine oder Parteien unsere freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen. Aktuell hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei bundesweit als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft, das ermöglicht auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel.
Es gibt die Kritik, dass rechte Politik und rechte Diskurse bereits so weit in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, dass die etablierten Parteien sie übernehmen. Parallel zu den Protesten gegen rechts wurde das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Wie erklären Sie diese Gleichzeitigkeit?
Das Rückführungsverbesserungsgesetz stand schon lange auf der Tagesordnung und ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Dabei geht es um eindeutig Ausreisepflichtige, bei denen in letzter Instanz klar ist, dass es keine Bleibeperspektive gibt. Mir ist wichtig, dass mit dem Gesetz auch geregelt wird, und das ist in der Debatte wenig bekannt, dass Asylbewerber schneller arbeiten dürfen und es weitere Verbesserungen für Menschen mit Duldung gibt. Unabhängig von diesem Gesetz appelliere ich an alle demokratischen Parteien, ohne Populismus und Ressentiments über Flucht, Migration und Integration zu diskutieren.
„Unser Land profitiert von Einwanderung, schon immer“
Mal unabhängig von der Sprache: Haben wir denn in Deutschland ein Migrationsproblem?
Deutschland und die EU stehen vor großen Herausforderungen, was Migrationsfragen angeht. Wir sehen hohe Zugangszahlen von Schutzsuchenden, wir sehen Kriege und Konflikte weltweit, damit müssen wir umgehen, das ist eine Jahrhundertaufgabe. Wir sorgen für mehr Ordnung und Steuerung bei der Migration. Aber das Mega-Thema Migration sorgt für die Menschen hier in ihrem Alltag kaum für Beeinträchtigung, im Gegenteil: unser Land profitiert von Einwanderung, schon immer, und das ärgert mich an der Diskussion.
Wie meinen Sie das?
Wenn man die Diskussion anhört, hat man den Eindruck, dass die Migration das größte Problem der Bürgerinnen und Bürger sei. Im Alltag haben viele ganz andere Sorgen. Wir müssen die Themen stärker in den Blick nehmen, die sie persönlich bewegen: sichere Renten, Zukunftsfähigkeit, Klimaschutz, gute Arbeit und gute Löhne. Dafür hat die Bundesregierung vieles beschlossen.
Zugleich sind sehr viele Kommunen durch Geflüchtete überfordert.
In den letzten zwei Jahren, ausgelöst durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, haben wir innerhalb kürzester Zeit sehr viele Menschen aufgenommen. Die Sorgen der Kommunen nehme ich sehr ernst. Deshalb ist es gut, dass wir erstmalig eine nachhaltige, dauerhafte Finanzierung des Bundes für Länder und Kommunen etabliert haben. Gleichzeitig sind wir ein Einwanderungsland und wir wollen ein modernes Einwanderungsland werden. Da haben wir noch unglaublich viel zu tun.
Werden in den nächsten Wochen mehr postmigrantische Gruppen mit auf der Straße sein?
Jede und jeder ist da herzlich willkommen. Ich werde auf jeden Fall weiter dazu motivieren, ich werde in Berlin am 3. Februar demonstrieren, bei der Menschenkette um das Reichstagsgebäude, und ich freue mich sehr, dass unter den bereits rund 900 aufrufenden Organisationen auch viele Migrant*innen-Organisationen und ihre Dachverbände dabei sind.