Integrationsbeauftragte über Rechtsextremismus an Schulen: „Hakenkreuze an den Wänden Alltag“

  • Startseite
  • Staatsministerin

  • Ich möchte mehr wissen über

  • Integrationsarbeit in den Bereichen

  • Medien

  • So erreichen Sie uns

Interview Integrationsbeauftragte über Rechtsextremismus an Schulen: „Hakenkreuze an den Wänden Alltag“

Es ist voll vor dem Bundeskanzleramt. Das Büro von Staatsministerin Reem Alabali-Radovan  liegt ein paar Stockwerke höher, vom Balkon aus kann man das Treiben unten gut beobachten: Dutzende Polizeibusse und schwarze Limousinen drängen sich davor, mehrere Staatschefs sind zur West-Balkan-Konferenz am Montag angereist. Es geht um EU-Beitritte – und vor allem auch um Migrationspolitik in Europa.

  • Interview mit
  • Frankfurter Rundschau

Hierzulande gewinnt die Debatte um Migration seit Monaten immer mehr an Schärfe. „Das bereitet mir Sorgen“, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Sie beobachte einen Rechtsruck auf vielen Ebenen in der Gesellschaft, angefeuert auch durch die sozialen Medien. Im Interview erklärt die SPD-Politikerin, was eine Politik der Mitte dem Trend entgegensetzen kann, und warum ein AfD -Verbotsverfahren aus ihrer Sicht nötig sein kann.

Frankfurter Rundschau: Jeder vierte Mensch mit Migrationshintergrund plant laut einer Studie, aus Deutschland auszuwandern. Können Sie das nachvollziehen?

Reem Alabali-Radovan: Ja, ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich höre diese Gedanken in vielen Gesprächen, die ich führe, bereits seit Anfang des Jahres. Seit den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen hat es sich weiter verstärkt.

Was sagen Ihnen die Menschen? Haben sie Angst vor der AfD?

Menschen, die schon lange Teil unserer Gesellschaft sind, fragen sich, ob sie noch eine Zukunft haben in Deutschland, ob sie wirklich dazugehören. Sie haben Angst. Dieses Gefühl müssen wir unbedingt ernst nehmen.

In Hessen haben Menschen neulich auf einem Volksfest ähnlich wie auf Sylt „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gesungen. Ein Video davon kursiert im Netz. Was haben Sie empfunden, als Sie es gesehen haben?

Es gibt inzwischen zig solcher Vorfälle. Und das sind nur die, von denen wir wissen. Auch in der Nähe meiner Heimatstadt Schwerin haben junge Leute dieses Lied auf einer Abi-Feier gesungen. Das zeigt, dass die große Empörung in Politik und Öffentlichkeit damals leider nicht davon abschreckt hat. Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland, das müssen wir konsequent bekämpfen.

In den Videos sieht man immer wieder vor allem junge Leute. Und die AfD hat in Thüringen und Sachsen, wo sie als gesichert rechtsextremistisch gilt, viele junge Wähler. Driftet die Jugend gerade in den Rechtsextremismus ab? 

Wir sollten das Problem nicht auf eine bestimmte Gruppe abwälzen. Aber ich beobachte zumindest Tendenzen. Wir haben einen Brandbrief von ostdeutschen Schülerinnen und Schülern bekommen. Ich habe mich gemeinsam mit dem Ostbeauftragten Carsten Schneider mit ihnen getroffen. Was wir aus den Schulen hören, ist mehr als beunruhigend. Hakenkreuze an den Wänden gehören dort zum Alltag. Und es passieren gewaltvolle Übergriffe gegen Migrantinnen oder Andersdenkende. Rechtsextreme Narrative verbreiten sich bei vielen Jugendlichen gerade rasant.

Die AfD ist bei TikTok extrem erfolgreich, verbreitet dort auch Desinformationen. Was kann eine Politik der Mitte dem entgegensetzen?

Wir brauchen Antworten, wenn es um die Sorgen und Zukunftsängste junger Leute geht. Und alle demokratischen Parteien müssen unbedingt besser darin werden, junge Menschen bei Social Media zu erreichen. Der Algorithmus von Plattformen wie TikTok favorisiert Inhalte, die eine Empörungsreaktion, Wut und Hass hervorrufen. Hier haben wir als Gesetzgeber eine Aufgabe.

Also Regulierung von TikTok und Co.?

In letzter Konsequenz, ja. In einem ersten Schritt müssen wir die Unternehmen dazu bringen, Hass und Hetze auf ihren Plattformen nicht zu dulden. Sich also selbst besser zu regulieren.

Gerade gibt es eine Debatte über ein AfD-Verbotsverfahren, auch angestoßen von SPD-Abgeordneten. Sollte die AfD verboten werden?

Ich finde es gut, dass diese Diskussion jetzt geführt wird. Mich erreichen dazu viele Nachrichten. Neulich erst hat mir ein kommunaler Mandatsträger aus meinem Schweriner Wahlkreis geschrieben. Da ist es mir kalt den Rücken heruntergelaufen, der Kollege fühlt sich dort konkret von der AfD bedroht. Für mich ist völlig klar, dass wir die AfD politisch stellen müssen. Aber eben auch juristisch. Der Verfassungsschutz sammelt aktuell Informationen, ob die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft werden muss und verfassungsfeindlich ist. Wenn ausreichend Beweise vorliegen, müssen wir ein Verbotsverfahren anstoßen. Unsere Demokratie muss wehrhaft bleiben.

Markus Söder hat neulich behauptet, dass Deutsche sich in vielen Stadtvierteln nicht mehr daheim fühlen würden. Was glauben Sie, warum hat er das gesagt?

Er steigt ein in eine populistische Rhetorik, die Migranten pauschal unter Generalverdacht stellt. Mich hat seine Aussage sehr verärgert. Ich frage mich auch, wie er ein Deutschsein erkennt? Denn gerade München ist eine sehr internationale Stadt, viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte leben dort, und man ist auch stolz auf die Vielfalt in dieser Stadt. Dass er von Überfremdung spricht, kann ich nicht nachvollziehen.

Cem Özdemir sagt, seine Töchter hätten Angst in Innenstädten. Er warnt vor Ressentiments gegen Frauen durch muslimischen Männer. Die Warnung kommt nicht von konservativer Seite, sondern von links. Wie bewerten Sie das?

Wir sollten immer darauf achten, zu differenzieren. Migranten pauschal in eine Schublade zu stecken, das geht nicht. Die aktuellen Diskussionen machen sehr viele Menschen, die ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind, und die ihren Beitrag zu unserem Wohlstand leisten, sehr betroffen. Aber es ist natürlich unbenommen wichtig, dass wir über Migration und auch über Probleme sprechen.

Haben wir in der Vergangenheit zu wenig darüber gesprochen?

Wir reden seit über drei Jahren über fast nichts anderes als Migration. Aber nicht immer über die eigentlichen Probleme. Beispielsweise ist unsere Infrastruktur an vielen Stellen nicht gut aufgestellt, das haben wir auch mit der Aufnahme von über einer Million Geflüchteter aus der Ukraine gemerkt. Daran müssen wir arbeiten.

Welche Rolle spielt das BSW in der Migrationsdebatte?

Das BSW ist eine Blackbox. Wir wissen nicht viel über die Programmatik, es gibt kein Programm. Ich beobachte allerdings, dass ehemalige linke Politiker, die einst eine progressive Migrationspolitik betrieben haben, jetzt beim BSW eher rechtskonservativ unterwegs sind. Dieser Wandel ist schon bemerkenswert.

Derzeit hört man oft, dass Deutschland Einwanderer braucht, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Degradiert das nicht Menschen zu Arbeitsmaterial?

Ich bin dagegen, Menschen nur nach ihrem potenziellen Nutzen zu bewerten. Aber klar ist, wir brauchen Fachkräfteeinwanderung. Nur: Deutschland ist laut Studien als Zielland nicht gerade besonders beliebt bei internationalen Fachkräften. Unsere Willkommenskultur hat sehr gelitten unter der politischen Stimmungsmache und Diskriminierung. Das schreckt Menschen ab.

Sie selbst haben in kurzer Zeit eine steile Politikkarriere hingelegt. Nach dem Rückzug von Kevin Kühnert wird gerade über zu viel Härte im Politikbetrieb diskutiert. Wie nehmen Sie das wahr?

Der Rückzug von Kevin Kühnert hat mich und viele, vor allem junge Politikerinnen und Politiker sehr getroffen. Er ist ein Vorbild und hat gezeigt, was man in jungen Jahren alles schaffen kann. Politik ist ein hartes Geschäft.  Und ganz grundsätzlich stellen wir fest, dass in d en sozialen Medien tagein, tagaus sehr viel Hass und Hetze abgeladen  wird, auch persönlich. Das kann extrem belastend sein. Und es schreckt viele davon ab, in die Politik zu gehen, vor allem auf kommunaler Ebene wollen sich das immer weniger Leute antun.

Wie sieht es denn auf Ihren eigenen Kanälen aus? 

Der Themenbereich Migration polarisiert sehr. Ich erlebe auf meinen Accounts viel Hass und Hetze. Aber auch viel Positives. Das motiviert mich, darauf versuche ich mich zu konzentrieren.

Also gibt es nicht nur Shitstorms, sondern auch mal einen echten Candystorm?

Die Hater organisieren sich besser und sind sehr laut. Demgegenüber steht eine große Mehrheit, die sich eher still verhält. Ich nehme wahr, dass sich viele ganz aus dem Social-Media-Raum zurückziehen, weil sie es nicht mehr ertragen. Das Schlimme ist: Wir haben uns an diese Shitstorms einfach total gewöhnt. Aber wir dürfen uns nie daran gewöhnen, denn das darf nicht das Normale sein.