Interview
- Interview mit
- Märkische Oderzeitung
MOZ: Frau Alabali-Radovan, Sie haben am Dienstag in Frankfurt (Oder) mit 40 Gästen über die Fachkräftesituation in Brandenburg gesprochen. Welche Situation wurde Ihnen geschildert? Wo liegen die größten Probleme?
Reem Alabali-Radovan: Der Fachkräftemangel beschäftigt alle, auch hier in Brandenburg. Darüber habe wir diskutiert mit Expertinnen und Experten, wie dem Oberbürgermeister von Frankfurt, der Agentur für Arbeit, von Unternehmen aus Brandenburg und von Migrationsberatungsstellen. Besonders die Integration von Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den Arbeitsmarkt haben wir in den Blick genommen. Hier gibt es viele Herausforderungen. Zum Beispiel dauert die Anerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse zu lange, genauso wie die Visaverfahren in den Ausländerbehörden. Zudem muss eine echte Willkommenskultur in vielen Strukturen noch wachsen und wir müssen klare Kante bei Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte zeigen.
MOZ: Deutschland droht nach Einschätzung der staatlichen Förderbank KfW wegen des Fachkräftemangels eine Zeitenwende. „Das Fundament für weiteres Wohlstandswachstum bröckelt“, hieß es in einer am Montag veröffentlichen Studie. Das Fehlen von Fachkräften behindert der KfW zufolge bereits die Geschäftstätigkeit von jedem zweiten Unternehmen. Zuwanderung allein werde das Problem nicht lösen, hieß es. Wie bewerten Sie das?
Reem Alabali-Radovan: Das stimmt und darum setzen wir in der Bundesregierung mit einer Fachkräftestrategie auf beides: alle Potenziale im Land nutzen und mehr Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften. Es ist ganz klar, dass wir ein breites Maßnahmenpaket in vielen Bereichen brauchen, nicht nur Zuwanderung. Das haben wir im Herbst beschlossen. Darum kommt jetzt das Weiterbildungsgesetz, das auch Auszubildende stärkt. Darum wollen wir den Anteil der Frauen, die Vollzeit beschäftigt sind, erhöhen. Und darum folgt jetzt im Frühjahr die Gesetzgebung für mehr Fachkräfteeinwanderung. Wir können also nicht an dem einen oder anderen arbeiten, sondern wir müssen alles gleichzeitig und aus einem Guss machen.
MOZ: Die Bertelsmann Stiftung hat in einer Studie festgestellt, dass vor allem Jugendliche mit geringer Schulbildung nur geringe Chancen haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Hier sind wir bei Ihrem Thema Integration: Was muss passieren, um junge Leute in Ausbildung zu bekommen?
Reem Alabali-Radovan: Beim Thema Ausbildung i ist das Weiterbildungsgesetz auf dem Weg, das auch eine Ausbildungsgarantie beinhalten und Einstiegsqualifizierungen ausbauen soll. Was mir in dem Bereich auch wichtig ist, ist die Frage der Berufsschulen, die in vielen Regionen nicht mehr gut aufgestellt sind. Hier brauchen wir in Zukunft neue Herangehensweisen.
MOZ: Auch an vielen Berufsschulen fehlt das qualifizierte Personal. Dort herrscht ebenfalls Fachkräftemangel. Wie kann man das ändern?
Reem Alabali-Radovan: Der Fachkräftemangel gerade im Lehrbereich fällt uns jetzt auf die Füße. In den Berufsschulen, aber beispielsweise auch bei Integrationskursen: Uns fehlen oft die Lehrkräfte, die die Integrationskurse durchführen, auch da müssen Quereinsteiger helfen. Und die Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen muss viel schneller gehen. Es gibt sehr viele Lehrerinnen und Lehrer, die zu uns gekommen sind, unterrichten könnten, aber deren Abschlüsse nicht anerkannt werden.
MOZ: Wie kann die Anerkennung der Berufsabschlüsse beschleunigt werden.
Reem Alabali-Radovan: Auch das ist Teil der Fachkräftestrategie, das gehen wir an – ist aber komplex. Wir haben in Deutschland über 1500 Anerkennungsstellen für ausländische Studien- und Berufsabschlüsse. Das ist eine Mammutaufgabe.
MOZ: In diesem Feld haben Sie persönliche Erfahrungen. Wie war das bei Ihren Eltern? Sind damals die Berufsabschlüsse anerkannt worden, als Sie nach Deutschland kamen?
Reem Alabali-Radovan: Bei meinen Eltern wurden die Studienabschlüsse nicht anerkannt. Meine Eltern sind beide studierte Diplomingenieure. Sie konnten aber leider ihre Berufe in Deutschland nie ausüben, weil diese nicht anerkannt wurden. So können wir nicht weitermachen, wir brauchen jede Fachkraft. Wir müssen noch viel flexibler werden, auch mal nach einer Teilanerkennung den anderen Teil berufsbegleitend nachholen. Das wollen wir mit der Reform der Fachkräfteeinwanderung angehen. Wichtig ist, dass nicht gleich ein ganzes neues Studium oder eine volle Berufsausbildung absolviert werden muss.
MOZ: Sie sind in Schwerin aufgewachsen. Inwieweit sehen Sie Parallelen zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern?
Reem Alabali-Radovan: Ich sehe sehr große Parallelen, die Herausforderungen sind sehr ähnlich, Vieles höre ich genau so in meiner Heimat Schwerin. . Deshalb schließe ich mich ja auch mit dem Ostbeauftragten zusammen, weil wir sehen, dass in den ostdeutschen Bundesländern ähnliche Probleme oder Herausforderungen anstehen.
MOZ: Frankfurt (Oder) in direkter Grenznähe zu Polen hat einen Sonderstatus. Hier gibt es immer noch viele Fachkräfte, die aus Polen kommen. Das ist in anderen Teilen Brandenburgs sehr viel schwieriger. Wie kann es gelingen, dass auch aus der EU noch mehr Fachkräfte zu uns kommen?
Reem Alabali-Radovan: EU-Arbeitnehmer machen einen großen Teil der ausländischen Arbeitnehmer aus, die Hälfte aller Zuzüge 2021 kamen aus der EU. Wir sehen allerdings eine Entwicklung, dass viele EU-Arbeitnehmer wieder zurückkehren. Polnische Arbeitskräfte finden jetzt auch Arbeit zu Hause, den auch in Polen herrscht längst Fachkräftemangel. Darum müssen wir eine gute Perspektive bieten: gute Arbeit, gute Löhne, gute Chancen auch für die Kinder, für die Familie. Und wir müssen sehen, wie wir mit Pendelmigration umgehen. Es gibt viele Arbeitnehmer, die hier arbeiten, aber nicht wohnen - gerade in der Grenzregion.
MOZ: Apropos Pendeln: Wer morgens von Berlin nach Frankfurt (Oder) im Zug unterwegs ist, erkennt die zahlreichen Mitarbeitenden von Tesla an den Tesla-Jacken. Es herrscht ein buntes Sprachengewirr von Spanisch, Englisch, Arabisch. Sie alle fahren nach Brandenburg zur Arbeit, aber sie leben in Berlin.
Reem Alabali-Radovan: Ich denke, die Tesla Ansiedlung ist ein ganz besonderes Beispiel, das wir gut beobachten sollten, um zu hinterfragen: Warum ziehen viele nicht in die Region, in der sie arbeiten? Bei den Mietpreisen in Berlin würde man doch meinen, es ist eine ideale Situation, in die Nähe der Tesla Fabrik zu ziehen, in den Landkreis Oder-Spree, auch wenn rund um Grünheide die Immobilienpreise stark gestiegen sind. Man sollte die Beschäftigten unbedingt nach den Gründen fragen und daraus Schlüsse ziehen für künftige Firmen-Ansiedlungen und die Fachkräftesituation insgesamt.
MOZ: Wie bewerten Sie die Willkommenskultur in Brandenburg? Für den Arbeitsmarkt brauchen wir die Zuwanderung. Doch wie kann es gelingen, dass sich die Menschen hier wirklich willkommen fühlen?
Reem Alabali-Radovan: Brandenburg ist ein hochattraktives Bundesland. Aber wir brauchen einen Perspektivwechsel, vor allem in den Behörden. Ich würde mir wünschen, dass beispielsweise die Ausländerbehörden den Menschen mehr Perspektiven und Chancen aufzeigen, smarter und digitaler aufgestellt sind, schnelle Verfahren für Aufenthalt, Arbeiten oder Ankommen sichern – statt zu zeigen, was alles nicht möglich ist.