Interview
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan über Aufnahme, Unterbringung und Integration
- Interview mit
- Ostsee Zeitung
Ostsee-Zeitung: Frau Alabali-Radovan, die Flüchtlingszahlen steigen, gleichzeitig sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung, wie erfolgreiche Bürgerbegehren gegen Containersiedlungen in Greifswald und Grevesmühlen zeigten. Was meinen Sie, woher kommt diese Ablehnung?
Reem Alabali-Radovan: Ich spüre beides, Solidarität und Sorgen. Als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung bin ich viel vor Ort, spreche mit vielen engagierten Leuten, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Gleichzeitig sehen wir die Bürgerentscheide in MV und anderen Bundesländern. Ich verstehe die Sorgen, aber viele Bedenken gehen auch auf Missverständnisse zurück, die ausgeräumt werden müssen. Darum ist wichtig, dass Bund, Land und Kommunen mehr mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, informieren, aufklären. Viele haben die Sorge, dass da jetzt ganz viele kommen und die Strukturen vor Ort überlasten.
In der Erstaufnahme des Landes in Schwerin Stern-Buchholz fühlen sich Anwohner einer kleinen Siedlung durch die fast 1000 Geflüchteten in ihrer Nachbarschaft beeinträchtigt. Macht das Land hier genug, um Akzeptanz zu schaffen?
Es kommen aktuell viele Schutzsuchende zu uns, die vor Krieg und Not fliehen und untergebracht werden müssen. Das muss solidarisch geschehen, auch in den Kommunen. Wichtig ist, dass die Unterbringung nicht geballt an wenigen Orten erfolgt. Das ist sowohl für die Schutzsuchenden als auch für die Einheimischen besser.
Also besser kleine Einheiten als große wie in Stern-Buchholz?
Stern-Buchholz ist eine Erstaufnahme, die dem Land MV vorgegeben ist. Aber auch da wurde nachgebessert: Bis 2015 gab es mit Nostorf-Horst nur eine Erstaufnahme im Nordosten, jetzt sind es zwei. Und MV geht bei der Aufnahme einen guten Weg, erstattet den Kommunen etwa alle Kosten der Unterkunft. Im Juli hat der Landtag einen Fonds über 20 Millionen Euro beschlossen, für Kommunen, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen.
Wie soll das Geld konkret gegen Konflikte helfen?
Etwa mit Investitionen in Infrastruktur oder in soziale Projekte, die für alle da sind.
Sie haben selbst als Kind in Flüchtlingsunterkünften gelebt. Was war für Sie der Schlüssel für eine gelungene Integration?
Ich war mit meinen Eltern zunächst einige Monate in Nostorf-Horst. Danach fast ein Jahr in einer Gemeinschaftsunterkunft in Waren an der Müritz. Ich war sechs Jahre alt, konnte kein Deutsch. Das richtige Ankommen ging erst los, als wir später nach Schwerin in eine Wohnung gezogen sind. Erst dann waren wir wirklich angekommen. Für mich ist sehr deutlich, dass wir darüber sprechen müssen, wie lange Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften wohnen sollten. Dort kann Integration nicht optimal gefördert werden: Sehr viele verschiedene Menschen mit sehr harten Schicksalen sind gezwungen, auf sehr engem Raum zusammen zu leben, teilweise mit Berufsverbot, und dürfen nicht arbeiten.
Wie sind ihre persönlichen Erinnerungen an diese Zeit in der Unterkunft? Eher grau und düster oder gab es auch Positives?
Beides, positiv als auch negativ. Die Mitarbeitenden des Malteserwerks, die auch noch heute dort arbeiten, gaben sich viel Mühe. Gleichzeitig war die Situation schwierig. Das Schwierigste war sicher, dass meine Eltern nicht arbeiten durften und es keine Integrationskurse gab. Und sie durften zum Beispiel auch nicht kochen, stattdessen gab es Kantinenessen und Essensmarken. Das ist für eine begrenzte Zeit okay. Aber je länger das dauert, desto mehr fehlt der selbstbestimmte Alltag. Für meine Eltern war das erheblich schwieriger als für mich.
Konnten sich ihre Eltern auch gut integrieren?
Es wurde ihnen nicht leicht gemacht. Aber Deutschland und Schwerin wurden zu unserer Heimat. Wir sind 1996 angekommen, seit 2006 eingebürgert. Bei Kindern erfolgt die Integration in Kita und Schule. Bei den Erwachsenen ist die Arbeitswelt wichtig. Die Hochschul-Abschlüsse meiner Eltern wurden damals aber nicht anerkannt, das heißt, sie mussten komplett von vorne anfangen. Inzwischen hat die Politik bei der Anerkennung ausländischer Studien- und Berufsabschlüsse nachgebessert, aber wir sind noch weit vom Idealzustand entfernt. Auch mit Blick auf Fachkräftemangel müssen wir das unbedingt angehen, davon wird unser Land profitieren. Dafür setze ich mich ein.