- Interview mit
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
dpa: Wie haben Sie die Ankunft der Flüchtlinge am Berliner Hauptbahnhof erlebt?
Staatsministerin Reem Alablai-Radovan: Es ist eine herausfordernde Situation. Ich bin aber zutiefst beeindruckt von dem großartigen Engagement der Ehrenamtlichen, von Tag Eins an. Ich war in Schwerin in Notunterkünften und habe mir das angeschaut, eine sehr beeindruckende Situation. Wichtig ist, dass der Staat und die Hauptamtlichen von THW, Polizei und Behörden da sind. Wir sind dazu im täglichen Austausch - Bund, Länder und Kommunen. Es ist klar, dass die Aufnahme nicht nur über ehrenamtliches Engagement läuft.
Vor allem geht es jetzt darum, die Menschen unterzubringen, dass sie ein sicheres Dach über dem Kopf haben, dass sie versorgt sind mit Essen, mit medizinischer Versorgung. In den ersten Tagen erfolgt das oft über Notunterkünfte, jedenfalls für diejenigen, die keine Verwandten oder Freunde haben, bei denen sie unterkommen. Natürlich suchen die Kommunen auch Wohnungen und weitere Möglichkeiten für die langfristige Unterbringung.
Mir war es vor allem wichtig, dass wir allen Menschen Schutz bieten, die aus der Ukraine fliehen. Das gilt natürlich auch für Drittstaatsangehörige, das haben wir von Anfang an klar gemacht. Und da gibt es ganz unterschiedliche Fälle. Es gibt Studierende, für die wir jetzt die Möglichkeiten prüfen, ob ein Studium hier weiter gehen kann, und es gibt Drittstaatsangehörige, die wieder nach Hause wollen.
Bei der Aufnahmekapazität sehe ich aktuell nicht das Problem. Wir haben aus 2015 gut gelernt, wie schnell man Kapazitäten hochfahren kann. In Schwerin wurde beispielsweise eine alte Berufsschule innerhalb von zwei Tagen mithilfe des Deutschen Roten Kreuzes in Betrieb genommen. Die Kommunen wissen, was zu tun ist Und auch der Bund stellt über bundeseigene Liegenschaften Unterbringungsplätze zu Verfügung.
Anfeindungen gegen Menschen, die aus Russland oder der Ukraine stammen?
Wir erfahren leider, dass es Anfeindungen gegenüber russischsprachigen Menschen oder russisch gelesenen Menschen gibt. Da müssen wir konsequent dagegenhalten. Wir haben Fälle von Lebensmittelläden, die nicht mehr besucht oder die beschmiert werden. Oder auch Fälle von Anfeindung gegenüber Schülerinnen oder Studenten. Das dürfen wir nicht zulassen.
Unterschiede zu 2015?
Es kommen mehr ältere Menschen, viele Frauen und Kinder, auch Kinder aus Waisenhäusern, oder Menschen aus Behindertenwerkstätten. Wir versuchen, unbedingt dafür zu sorgen, dass beispielsweise die Kinder, die als Gruppe kommen auch als Gruppe zusammenbleiben können.
Schule?
Wir haben nach 2015 viele Strukturen aufgebaut, wir haben zum Beispiel an den Schulen Integrations- oder Willkommensklassen oder auch mehr Unterricht in Deutsch als Zweitsprache. Da müssen wir jetzt schauen, dass wir die Kapazitäten wieder aktivieren.
Asyl für Deserteure und Männer, die dem Wehrdienst entgehen wollen, aus Russland?
Wir müssen damit rechnen, dass mehr Asylanträge gestellt werden von Menschen aus Russland. Jede schutzbedürftige Person hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Die Asylanträge durchlaufen eine Einzelfallprüfung. Ob es darüber hinaus andere Schritte geben wird, dazu bin ich mit dem Bundesinnenministerium im Austausch.
Integrationskurse?
Es ist entscheidend, dass die Menschen, die zu uns kommen, auch gleich zu Beginn Zugang zu einem Integrationskurs bekommen. Hier dürfen wir die Fehler von 2015 nicht wiederholen. Auch die Möglichkeit der Kinderbetreuung während der Kurse ist wichtig. Verpflichtend ist die Teilnahme für die Geflüchteten aus der Ukraine nicht.
Fall Dilan
Bei diesem Angriff hat mich besonders erschüttert, dass niemand eingeschritten ist. Es waren nach meinen Kenntnissen ja viele Leute vor Ort, es war im öffentlichen Raum mitten in Berlin. Und es war ein junges Mädchen, das angegriffen und rassistisch beleidigt wurde. Dass da niemand eingegriffen hat, kann ich nicht verstehen. Das zeigt uns aber auch, dass wir viel tun müssen. Ich sage: wir müssen alle Antirassisten sein. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir uns klar auch laut gegen Rassismus, Antisemitismus und jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit positionieren müssen. Wir müssen also nicht nur Haltung zeigen, sondern auch im Alltag eingreifen - etwas sagen.
Ich möchte gerne breit diskutieren über die Definition von Rassismus.
Finden Sie es ok, wenn man in Deutschland aufgrund seines Äußeren einen Menschen in einer Fremdsprache anspricht?
Ich weiß, dass einige Menschen mit Einwanderungsgeschichte das sehr unangenehm finden, und einige das als rassistisch wahrnehmen. Empfindungen von Menschen sind so divers wie die Menschen selbst, das kann man nicht pauschalieren.
Wir wollen ein Beratungszentrum auf den Weg bringen, als Begleitung für schon vorhandene Strukturen, als ein zusätzliches Angebot.
Und die Frage „Wo kommst Du her?“
Auch das kann man nicht pauschal beantworten. Für mich persönlich beispielsweise kommt es auf den Ton an und auf die Person, die fragt. Für Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist es einfach anstrengend und mühsam, ständig darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass man nicht hierhergehört. Wenn man das über Jahre hinweg immer mal wieder erlebt. Es geht um die Einreihung vieler ähnlicher Situationen. Wenn man dann wiedernicht die Wohnung bekommt oder nicht einmal zur Wohnungsbesichtigung eingeladen wird oder zum Bewerbungsgespräch, dann ergibt sich ein Bild.