Interview
Wie reagiert die Bundesregierung auf antisemitische Auswüchse? Die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan spricht über Ausweisungen, neue Lehrpläne in Schulen – und warnt vor einem antimuslimischen Rassismus.
- Interview mit
- Spiegel
SPIEGEL: Frau Alabali-Radovan, in Deutschland werden in diesen Tagen israelische Flaggen abgerissen und verbrannt, bei Demonstrationen skandieren Israelhasser antisemitische Parolen. Ist die Integration dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger gescheitert?
Alabali-Radovan: Es ist inakzeptabel, wenn israelische Flaggen zerstört werden und der Terror der Hamas auf unseren Straßen bejubelt wird. Das werden wir nicht tolerieren, das muss allen klar sein. Klar ist aber auch: Die Aktionen weniger stehen nicht für die mehr als 20 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Die überwiegende Mehrheit der Musliminnen und Muslime, die in Deutschland leben, verurteilt den Terror der Hamas.
SPIEGEL: Es geht aber über die Aktionen hinaus. Jüdinnen und Juden kleben ihre Klingelschilder ab, schicken ihre Kinder aus Angst nicht in die Schule, manchen wird der Zugang zu Spielplätzen verweigert. Was tut die Bundesregierung, um diesen unhaltbaren Zustand zu beenden?
Alabali-Radovan: Dagegen gehen wir vor. Straftaten müssen konsequent und hart geahndet werden. Das gilt für die Unterstützung von Terrororganisationen, aber auch für jede Bedrohung von Jüdinnen und Juden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat klar gesagt, dass jüdische Einrichtungen stärker geschützt werden. Es ist traurig, dass wir an diesem Punkt angekommen sind.
SPIEGEL: Sie sprechen über strafrechtliche Maßnahmen. Aber es ist doch offenkundig, dass in der Integration in den vergangenen Jahren einiges schiefgelaufen ist. Was muss sich verändern?
Alabali-Radovan: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Diesen Satz müssen wir mit Leben füllen und immer wieder klarmachen, was es bedeutet, dass Deutschland eine besondere Verantwortung hat. Wir müssen Antisemitismus überall, in allen Lebensbereichen bekämpfen. Das muss in den Integrationskursen Thema sein, und in den Schulen müssen Lehrerinnen und Lehrer wieder mehr über die Schoa und über den Nahostkonflikt reden, das muss fester Bestandteil des Lehrplans sein. Denn es gibt auch viele Kinder und Jugendliche mit palästinensischen Wurzeln, die sich Sorgen machen um ihre Familien. Diese Sorge ist legitim.
SPIEGEL: Wie wollen Sie diese Perspektiven zusammenbringen?
Alabali-Radovan: Indem wir den Dialog stärken. Wir haben zum Beispiel in meinem Stab ein Format zusammen mit dem Zentralrat der Juden entwickelt, es heißt „Schalom Aleikum“. Dabei kommt die jüdische Gemeinde mit muslimischen Verbänden, muslimischen Bürgerinnen und Bürgern zusammen.
SPIEGEL: Viele der Kinder und Jugendlichen, über die Sie sprechen, haben ein meist von den Eltern vermitteltes Weltbild, in dem Israel als Staat nicht existiert. Kann man das überhaupt ändern?
Alabali-Radovan: Ich bin fest überzeugt, dass es beim überwiegenden Teil kein gefestigtes Weltbild ist, sondern ein tradiertes, auch von staatlicher Propaganda ihrer Heimatländer getriebenes Bild. Aber wir können mit Bildung und Information viel erreichen.
SPIEGEL: Die CDU fordert, in einem Gesetz das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als Voraussetzung zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit festzuschreiben. Was halten Sie davon?
Alabali-Radovan: Wir haben die Voraussetzungen für das eindeutige Bekenntnis zu unseren freiheitlich demokratischen Grundwerten bereits im Gesetzentwurf zum Staatsangehörigkeitsrechts verschärft. Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit sind Ausschlussgründe für eine Einbürgerung – ohne Toleranz.
SPIEGEL: Ihre Parteifreundin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, und Ihr Parteivorsitzender Lars Klingbeil wollen Hamas-Unterstützer ausweisen. Sie auch?
Alabali-Radovan: Das ist eine Möglichkeit. Eine Pro-Hamas-Unterstützung hat harte strafrechtliche Konsequenzen – bis zur Ausweisung. Viele dieser Menschen sind aber deutsche Staatsbürger.
SPIEGEL: Oder es handelt sich um staatenlose Palästinenser.
Alabali-Radovan: Auch die können wir nicht ausweisen. Wir müssen also anders damit umgehen; das Strafrecht bietet ausreichende Möglichkeiten, hart vorzugehen. Mir ist aber noch etwas anderes wichtig: Wir haben in Deutschland nicht nur einen importierten Antisemitismus. Die Mitte-Studie hat gezeigt, dass die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen auch in der Mitte der Gesellschaft zunimmt. Bei Wählern extremistischer Parteien ist Antisemitismus ebenfalls stark ausgeprägt.
SPIEGEL: Fürchten Sie, dass die Eskalation des Nahostkonflikts auch die feindselige Haltung gegen Musliminnen und Muslime in Deutschland verstärkt?
Alabali-Radovan: An den Aussagen einiger Politiker zeigt sich, dass es in so eine Richtung geht. Ich warne vor einem antimuslimischen Rassismus, der Menschen in eine Schublade steckt. Wenn sich etwa einige muslimische Verbände nach den Terrorangriffen der Hamas nicht geäußert haben, wird das stellvertretend für alle Musliminnen und Muslime gesehen. Antirassismus funktioniert nur, wenn wir Antisemitismus entschieden bekämpfen.
SPIEGEL: Es war aber tatsächlich ja so, dass einige muslimische Verbände den Terror der Hamas nicht klar verurteilt haben.
Alabali-Radovan: Ja, diese Zurückhaltung kritisiere ich. Aber es wird zu wenig darüber gesprochen, dass sich auch viele klar positionieren, wie unter anderem die Türkische Gemeinde Deutschlands oder der Rat der Imame Berlins. Wir müssen im Gespräch bleiben.
SPIEGEL: Sie haben über politische Bildung gesprochen. Gerade in diesem Bereich will die Bundesregierung aber sparen. Sollte man das angesichts der aktuellen Lage überdenken?
Alabali-Radovan: Wir brauchen definitiv mehr Präventionsprogramme. Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, eine entscheidende Zukunftsfrage unserer Demokratie.
SPIEGEL: Sie sind seit knapp zwei Jahren Integrationsbeauftragte, haben etwa 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was haben Sie bisher eigentlich erreicht?
Alabali-Radovan: Viel. Neben sehr viel Projektarbeit habe ich im Bereich Antirassismus einen Lagebericht zu Rassismus in Deutschland erarbeitet, der auch strukturellen Rassismus adressiert. Das gab es vorher nicht. Und wir haben gemeinsam mit Migrantenorganisationen ein Beratungsnetz gestartet für alle, die von Rassismus betroffen sind. Im Integrationsbereich haben wir das Chancenaufenthaltsrecht auf den Weg gebracht, die Vorintegration in das Fachkräfteeinwanderungsrecht eingebunden, und das neue Staatsangehörigkeitsrecht begleiten wir mit einer Einbürgerungskampagne.
SPIEGEL: Mit welchem Ziel?
Alabali-Radovan: Ich will darüber informieren, wie sich diejenigen, die schon lange zu unserem Land gehören, einbürgern lassen können.
SPIEGEL: In der aktuellen Debatte über Flucht und Migration gibt es aber vor allem Rufe nach einer restriktiveren Politik. Werden Ihre Initiativen überhaupt noch wahrgenommen?
Alabali-Radovan: Natürlich müssen wir Migration steuern und ordnen. Was dabei aber untergeht: Wir sind ein Einwanderungsland und brauchen dringend Fachkräfte. Es wird im Ausland gerade sehr genau registriert, wie wir hier diskutieren. Auf der Straße erkennt man nicht, ob das Gegenüber eine indische, top qualifizierte Fachkraft ist, ein Geflüchteter oder eine Staatsministerin. Diskriminierung und Rassismus erfahren alle drei, jeden Tag. Und deshalb überlegen es sich Menschen sehr genau, ob sie nach Deutschland kommen und hier arbeiten wollen.