„Mit meiner Faust kann ich mich wehren!“

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Frauen beim Training

Empowerment durch Wendo für geflüchtete Frauen

Foto: Integrationsbeauftragte / Loos

„Wann ist es okay, dass mich jemand an der Schulter anfasst? Oder mich anspricht? Wo ist die Grenze zu meinem persönlichen Nahbereich?“ Das sind Fragen, die sich Frauen häufig stellen.

In Halle-Ost loten acht Frauen donnerstagsnachmittags in der Turnhalle der Comenius-Schule aus, wie sie ihre Körper und Grenzen wahrnehmen. Und wie sie ihre Grenzen gegebenenfalls tatkräftig behaupten. In dem Wendo-Kurs des „CarIMa“-Projektes zur Unterstützung von Frauen mit Fluchterfahrung beim Malteser Hilfsdienst erarbeiten sich die Frauen die Techniken, erlernen Bewegungsabläufe und ein mentales Setting.

„Wendo bedeutet übersetzt ‚Weg der Frauen‘,“ erklärt die Trainerin Jana Dreiseitel. Die Frauen in dem Kurs sind alle aus ihren Heimatländern geflüchtet. Einige von ihnen leben in einem Frauenschutzhaus. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Grenzen keineswegs immer respektiert wurden.

Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung stärken

In ihrem Leben in Halle wollen sie es nun anders machen und ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstbehauptung stärken. Die Frauen wärmen sich mit Dehnungen und Atemübungen auf. Trainiert wird in Straßenkleidung– schließlich findet das „echte Leben“ mit seinen Herausforderungen in genau derselben Bekleidung statt.

„Das entspricht der Alltagsrealität“, sagt die Trainerin Cosima Mangold. Etwa achtzig Prozent der brenzligen Situationen fänden im Nahbereich statt, nur zwanzig Prozent im Umgang mit fremden Menschen. „Nur wer sich selbst und die Situation wahr- und ernstnimmt, kann grenzüberschreitende Situationen im Alltag lösen.“

Neue Wege und neue Räume im neuen Land

Frau beim Aufwärmen

Es geht um „Empowerment“, also Selbstermächtigung.

Foto: Integrationsbeauftragte / Loos

Der Begriff „lösen“ fällt immer wieder – es geht um „Empowerment“, also Selbstermächtigung und nicht darum, in einen permanenten Abwehr-Modus zu schalten. Die Frauen im Kurs stammen aus dem Iran, aus Syrien und Afghanistan. In ihren Lebensentwürfen war nicht vorgesehen, dass sie dauerhaft „ihre eigene Frau“ stehen, einer Erwerbsarbeit nachgehen und sich permanent in der Öffentlichkeit bewegen.

Im neuen Land erschließen sich die Frauen jetzt neue Wege und Räume. Das führt zu neuen Erfahrungen, Unsicherheiten, aber auch positiven Erlebnissen über die häusliche Sphäre und den engeren Familienkreis hinaus. Sie lernen ihre Grenzen zu erweitern und zu kommunizieren. Beispielsweise dem Ehemann gegenüber: „Hol mich nicht immer ab!“ könne so ein Satz sein. Damit könnten die Frauen deutlich machen, dass sie in der Lage sind, ihre Wege in der Stadt allein zu gehen und keiner Kontrolle bedürfen, weiß Franziska Günther von den Maltesern. Sie koordiniert die Anmeldungen für den Wendo-Kurs und ist im Kontakt mit den Frauen. „Die wenigsten Frauen sind überhaupt in der Lage, sich zu wehren.“ Eine durchaus problematische Voraussetzung für das Leben und den Alltag im neuen Land, das ihnen nicht immer freundlich und wohlgesonnen entgegentritt.

„Zum Ankommen in Deutschland gehört für die Frauen, auch ein neues Verständnis der eigenen Rolle als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Sie brauchen Hilfe und Anleitung, um selbstbewusst im Alltag Grenzen zu setzen und zu verteidigen. Ohne die Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen kann Integration nicht gelingen.“ so Staatsministerin Annette Widmann-Mauz.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration fördert Projekte, die Unterstützungsangebote zur Gewaltprävention und zum Empowerment von Frauen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte anbieten.

Universell verständliche Gesten

Frauen beim Training

„Bis hierher und keinen Schritt weiter!“

Foto: Integrationsbeauftragte / Loos

Im „Ladencafé“, einem Internationalen Frauencafé der Malteser werden die Kinder der Frauen parallel zu den Kursen betreut. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 19 und 45 Jahre alt. Ihnen war es ebenso wie den Kurs-Organisatorinnen wichtig, ungestörte Zeit für die Frauen und ihre Belange zu schaffen. Denn das Training und die Übungen in der Halle erfordern volle Konzentration auf die eigenen Bewegungsabläufe, auf die Atmung und die – durchaus lautstarken – und kraftvollen Äußerungen.

„Stopp!“ rufen die Frauen im Kreis gemeinsam aus und machen einen großen, schnellen Ausfallschritt nach vorn. Das erzeugt spürbare Dynamik und Power im Raum. Ein Arm L-förmig gebogen und vorgestreckt, die Faust geballt; den anderen Arm näher am Körper angewinkelt. Wer so auftritt, macht klar: „Bis hierher und keinen Schritt weiter!“ Die Gesten sind universell verständlich. „Das funktioniert in allen Gesellschaften gleich“, sagt Jana Dreiseitel.

Deutsch als Kurssprache

Mit den Trainerinnen und idealerweise auch untereinander wird Deutsch gesprochen. Grundkenntnisse der deutschen Sprache sind hilfreich, um auch die so wichtigen verbalen Bestandteile des Kurses mitmachen zu können.

Frauen im großen Kreis

Nach drei, vier Durchgängen löst sich die Anspannung in Lachen und lockeren Bewegungen auf.

Foto: Integrationsbeauftragte / Loos

In Sprechtrainings lernen die Frauen zudem, einfache Sätze und sogenannte „Blocker“ wie: „Halt! Stopp!“, „Lass mich in Ruhe!“ oder „Geh weg!“ nachdrücklich herüberzubringen. Nach drei, vier Durchgängen solcher „Stopp-Übungen“, löst sich die Anspannung bei den Frauen in Lachen und lockeren Bewegungen auf.

„Die Frauen spüren, dass das etwas ganz Solidarisches hat“, sagt Cosima Mangold. „Sie erfahren, dass Grenzüberschreitungen kein Tabu und nicht etwas nur individuell Erlebtes sind.“ Um diese Erfahrungen zu reflektieren und die neuen Erkenntnisse zu festigen, gibt es immer eine Feedback-Runde am Ende jeder Kurs-Einheit. „Wir analysieren gemeinsam, wie sich die Wahrnehmung und Einschätzung der Situation verändert hat“, sagt Jana Dreiseitel. Denn nur, wenn es hart auf hart kommt, sollen die Frauen mit ihren eigenen „Waffen“ kämpfen. Dann gilt die Devise: „Mit meiner Faust, die ich immer dabeihabe, kann ich mich wehren, und zwar richtig.“